Auf den Lebensspuren der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger

Als kreativer hochsensibler Wassermann, wie sie sich selbst bezeichnet, wurde Ingeborg Hunzinger-Franck während des ersten Weltkrieges am 3. Februar 1915 in Berlin in eine großbürgerliche Familie geboren. Die Mutter war eine Berliner Jüdin, der Vater, Sohn des Wannseer Malers und Berliner Sezessionisten Philipp Franck, war Chemiker; noch eine Schwester und zwei Brüder gehörten zur Familie. Die künstlerischen Weichen wurden durch ihren Großvater Franck gestellt.

Nach dem Abitur folgte ein zweijähriger Besuch der Kunstakademie in Charlottenburg. Wegen der Zugehörigkeit zum Kommunistischen Bund wies man sie von der Akademie. Das Angebot ihres Vaters, einen Studienplatz im Ausland anzunehmen, schlug sie in den Wind. Stattdessen begann sie 1936 eine Steinmetzlehre in Franken, die sie 1938 als Gesellin abschloß. 1938 bis 1939 vertiefte sie ihre bislang erworbenen Bildhauerkenntnisse bei dem damals schon sehr bekannten Bildhauer Ludwig Kasper im „Atelierhaus in der Klosterstraße“. Hermann Blumenthal, Käthe Kollwitz und viele andere Künstler arbeiteten und lebten ebenfalls in diesem Atelierhaus.

Eigenwillig und auch getrieben durch neue politische Wandlungen in Deutschland, mit Berufsverbot im Koffer, ging sie 1939 nach Italien. In Florenz lernte sie den Maler Helmut Ruhmer aus Halle kennen, die ganz große Liebe ihres Lebens. Stipendiat war er in der Villa Romana, später Preisträger der Villa Massimo in Rom. Er sollte sie weiter durch Italien nach Sizilien begleiten, wo sie bei Elio Romana, einem sizilianischen Maler, lebten.

1943 kehrten Helmut Ruhmer und Ingeborg Franck nach Deutschland zurück. Die Eltern in Berlin waren nicht glücklich, ihre Tochter zu sehen, denn Hans-Heinrich Franck, der Vater, hatte bereits Mühe, seine jüdische Frau vor den Nazis zu schützen. So ging Ingeborg Franck 1942 mit Helmut Ruhmer an die Schweizer Grenze. In Bergalingen, oberhalb von Säckingen, wurden ihre beiden Kinder geboren; Anna 1943 und 1944 Gottlieb. Helmut Ruhmer wurde 1945 kurz vor Kriegsende eingezogen, kam an die Ostfront und fiel zwei Wochen später.

Ingeborg Franck blieb im Hotzenwald. Ihre manuelle Fähigkeit kommt ihr zugute, Töpfern ist ihr nicht fremd, hat sie ja bei Bontjes van Beek in Berlin gelernt. Die Arbeit bringt Geld und Essen für die Kinder. Zwei bildhauerische Ausschreibungen in Freiburg und Basel gewinnt sie, doch die Aufträge gab man dem „Roten Fuchs“ nicht. Als Preußin und Kommunistin wird sie kaum akzeptiert. 1946 gründete sie zusammen mit anderen Gesinnungsgenossen in Konstanz die Kommunistische Partei. Zeitzeugen dort oben im Hotzenwald erinnern sich noch heute an das schöne Fräulein Franck!

Ein anderer Mann tauchte in ihrem Leben auf, Adolf Hunzinger, Schlosser, kein Intellektueller. Der Mann mit dem praktischen Sinn und dem alemannischen Namen. Als Spanienkämpfer und Kommunist folgte er ihr in den Ostteil Berlins, wo 1950 die gemeinsame Tochter Rosita geboren wurde.

Nachdem ihr klar war, im Badischen keinen Fuß fassen zu können, orientierte sie sich 1949 nach Ost-Berlin, dem damaligen sowjetisch besetzten Stadtteil. Ihr Vater, der aus politischen Gründen 1946 vom West- in den Ostteil der Stadt wechselte, hatte in der Zwischenzeit hohe Ämter in Ost-Berlin inne und konnte ihr durch seinen Einfluß zum guten Einstand im russisch besetzten Teil der Stadt verhelfen. An der Weißenseer Kunstschule bekam sie eine Assistenz von 1950 – 1951, später interessierte sich Fritz Cremer für ihre Arbeit. 1952 – 1954 wurde sie Meisterschülerin bei ihm und Gustav Seitz an der Akademie der Künste der DDR am Pariser Platz. Danach bekam sie die Chance, als freie Bildhauerin zu arbeiten . Die Rahnsdorfer Wohnung mit Atelier ist seitdem ihre Heimstatt. Im ehemaliger Pferdestall stehen und entstehen die unterschiedlichsten Bildhauerarbeiten, die sie berühmt machten.

Ausstellungen liebte sie nie. Das Hin- und Hergeschleppe war ihr lästig, wie sie sagt. Kunst für den Arbeiter wurde ihr wichtig, in Fabriken ging sie, sprach und arbeitete dort mit den Werktätigen. Motive aus deren täglichem Leben verarbeitete sie in Reliefs in verschiedenen Fabriken. Kunst für den Öffentlichen Raum wurde in der DDR gepriesen und gut bezahlt. Ingeborg Hunzinger bekam Aufträge, die sie auf ihre Art umsetzte. Das Elend des Faschismus ist ein sehr häufiges Thema, doch auch tanzende und spielende Menschen im Sozialismus finden Umsetzung, Tag- und Nachträume gehören dazu. In Leuna stehen noch heute vier plastische Arbeiten, die sie in den Jahren 1955 bis 1965 im Auftrag der Leunawerke geschaffen hatte.

Mecklenburg wollte ihr Atelier und Haus in Schwerin stellen; sie lehnte das Angebot ab. Aufgrund ihrer politischen Einigkeit mit dem Staat durfte sie in westliche Länder reisen und hatte als Privilegierte sogar die Möglichkeit, ihre beiden Töchter, die der DDR den Rücken gekehrt hatten, in West-Berlin zu sehen. So war der Berliner Wohnsitz günstiger, Schwerin zu weit entfernt.

Robert Riehl, der begnadete Bildhauer mit dem wüsten Charakter wurde in den Sechzigern ihr dritter Mann. Zehn Jahre später starb er an Krebs, eine große Bildhauerarbeit von ihm steht in ihrem Garten in Rahnsdorf.

Die eigenwilligen Plastiken von Ingeborg Hunzinger sind in verschiedenen Stadtteilen Ost-Berlins und anderen Orten der ehemaligen DDR zu finden und zu sehen. „Der Pegasus“ auf dem Darß strebt in den Himmel und meine Begeisterung für das Denkmal in der Rosenstraße in Berlin-Mitte zum Gedenken an die mutigen Frauen, die dort 1943 den Nazis die Stirn boten und ihre Männer und Söhne mit ihrem Mut frei bekamen, ist ungebrochen. Ein Jüdisches Mahnmal für ganz Berlin hätte es werden können. Einfach großartig im Detail, der Jude auf der Bank daneben im Sonnenschein ein Schrei für Gerechtigkeit!

Noch kurz vor der Öffnung der Grenzen hat Ingeborg Hunzinger der DDR den Vertrag für die großartige Arbeit bzw. das Thema „Frauenprotest in der Rosenstraße“ im wahrsten Sinne des Wortes abgetrotzt!



Monatelang lehnte der Flötenspieler am Pfosten des Sommerateliers in Rahnsdorf und wartete auf die Abreise nach Italien. Endlich wurde er verpackt, nach Nonantola bei Modena gebracht und von der dortigen Kommune aufgestellt. Eine große Ovation für die damals 87jährige Bildhauerin. Sicherlich ein großes persönliches Ereignis für die Jüdin und Kommunistin Ingeborg Hunzinger aus Berlin an diesem geschichtsträchtigen Ort in Italien gefeiert zu werden.

„1942 kamen jüdische Kinder im Alter von 6 bis 20 Jahren auf der Flucht vor den Nazis auf dem Weg nach Palästina in das norditalienische Städtchen Nonantola, wo sie in der Villa Emma untergebracht wurden. Im Herbst 1943, als die Deutschen Norditalien besetzten, flohen die Kinder zusammen mit ihren Begleitern in die Schweiz. Ein krankes, zurückgebliebenes Kind überlebte nicht, sein Weg führte nach Auschwitz.“
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Die Villa Emma gibt es noch, die große Weide davor blühte damals gelb, es war Butterblumenzeit. Der Flötenspieler lehnt seitdem am Baum im Park des Palazzo Municipale, mitten im Ort, und spielt seine verlorene lyrische Melodie. Der Drachen zu seinen Füßen wird nicht mit Gewalt gezähmt, sondern besänftigt durch die schönen Klänge der Flöte.

Vor einigen Wochen beendete Ingeborg Hunzinger zwei große Reliefs aus Ton, die, wie schon in den vergangenen Jahren, im Brennofen von Hedwig Bollhagen landeten; ein Auftrag eines Kulturhauses in Brandenburg. Die verwitterten Skulpturen im Garten in Rahnsdorf verweilen unter Obstbäumen, fühlen sich wohl. Die eine oder andere Arbeit wird sicherlich und hoffentlich auch in Zukunft noch schöne Wiesen oder Parks zum Aufstellen und für uns zum Betrachten finden.

Christel Wollmann-Fiedler, 2005